Christoph Lorey, John L. Plews: ‚Queering the Canon‘

Stammdaten

Autor*in

Christoph Lorey, John L. Plews

Vollständiger Titel

Defying Sights in German Literature and Culture: an Introduction to Queering the Canon.

Ersterscheinungsjahr

1998

Publikationsform

Artikel

Originalfassung

Erschienen in: Dies. (Hgg.): Queering the Canon. Defying Sights in German Literature and Culture. Columbia 1998, S. xiii-xxiv.

Deutsche Übersetzung

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Coverbild des Sammelbandes Queering The Canon von Christoph Lorey und James L. Plews

Schlagworte

  • Kanon
  • Queering
  • deutsche Literatur
  • Dekonstruktion
  • Repräsentation

Fragestellung

Die Kanonisierung der deutschen Literatur ist Ausdruck einer heteronormativen Kultur. Sie unterliegt repressiven Mechanismen. Kann unter diesen Umständen queere Literatur Teil eines Kanons sein? Wenn ja, in welcher Weise? Wo zeigen sich die Grenzen des Kanons? Was ist unter dem Queering des Kanons zu verstehen und worauf zielt es ab?

Erkenntnisinteresse

  • Auch innerhalb eines literarischen Kanons sind bestimmte Werke sichtbarer als andere. Inwiefern ist die Abweichung vom Kanon, insbesondere auch die Abweichung von kanonisch gewordenen Schreibweisen, wesentlich für dessen Existenz?

    „The canon requires the ‚recognition‘, ‚integration‘ and ‚acknowledgement‘ of another tradition and constituent part, the ‚deviant‘ one.“
    (S. xv)

  • Wie ist es möglich, dass die Abweichung von der heteronormativen Norm zu einem Teil der Norm selbst wird?
    „Society cannot achieve self-assertion by duplicating established signs of power.“
    (S. xvi)
  • Was geschieht mit der queeren Perspektive, wenn sie in die bestehende dominante literarische Kultur integriert wird?
    „Queerness partly corrects and rewrites the norms, […] the deviance civilizes the norm.“
    (S. xix)

Kernthesen mit Belegstellen

Der Kanon verstärkt bestehende Meinungen und Denksysteme einer Kultur und verteidigt ihre Autorität.

„There can be little doubt that the ‚canon‘, whether dead or alive, taught year in and year out in schools or meticulously revised in the curricula of liberal institutions, very much repeats and even reinforces existing public opinion, systems of thought, and the structured ways of imagining the experiences and desires of the community, known as ‚standard truths‘, ‚traditional values‘, ‚common sense‘, or ‚normal behavior‘. And it without saying that the canon constructs itself with authority.“
(S. xiv)

Der Inhalt des Kanons verändert sich stetig, sodass selbst solche Werke integriert werden können, die zu einem früheren Zeitpunkt aus dem kulturellen Zentrum ausgeschlossen waren.

„The canon is thus a system that incorporates into its own shifting body those endeavors initially excluded from the self-proclaimed sociocultural center. In fact, it seems to be the clandestine rule of the canon that the barred become the standard. […] The one excluded can become exclusive.“
(S. xvi)

Auch innerhalb eines hegemonialen Kanons können sich Werke und Autor:innen finden, die nicht der heteronormativen Norm entsprechen und daher auch als marginalisiert gelten könnten. Den Kanon zu queeren bedeutet, seine Mechanismen offenzulegen.

„To queer the canon, then, means on one level to deconstruct these mechanisms to reveal how the canon – by dint of its own system and will to authority – is inherently, fundamentally queer; relying, as it does, on the very distinctions from its own posited norm, and, on another level, to exceed the material limits of the canon’s own historical position.“
(S. xix)

Den Kanon zu queeren bedeutet zweitens, sozialen Identitäten eine Stimme zu geben, denen bisher wenig Beachtung geschenkt wurde.

„Regardless, however, of whether or not the category of social identity qualifies as an acceptable key to canon entry, they, too, must be seen as representatives of social identities that have been denied free expression but deserve attention and critical investigation.“
(S. xxi)

Methodologie

Lorey und Plews zeigen in ihrer Einleitung zum Sammelband Queering the Canon (1998), wie fruchtbar es ist, den Kanon der deutschen Literatur als Konstruktion aufzufassen, einer queeren Analyse zu unterziehen und dabei das bereits bestehende queere Potenzial kanonisierter Werke hervorzuheben. Die Autoren umreißen zunächst, was unter dem Begriff ‚queer‘ zu verstehen ist, und skizzieren die Deutungsverschiebungen im Verlauf der 1990er Jahre. War der Begriff häufig lediglich als Synonym für gleichgeschlechtliche Orientierungen verwendet worden (vgl. Lorey, Plews, S. xiii), fand schließlich eine Bedeutungsverschiebung statt, die ‚queer‘ als Ausdruck  der „politischen Selbstbehauptung und der Ablehnung der Heteronormativität und ihrer Unterstützung für starre sexuelle (und damit gesellschaftspolitische) Klassifizierungen“ versteht (vgl. Lorey, Plews, S. xiii, in Anlehnung an Dennis Denisoffs Buch Queeries (1994)).

Betrachtete Gegenstände

Thomas Mann: Der Tod in Venedig (1912)

Literaturrecherche

11.5.2024, META, BDSL

Das Methodenporträt entstand  unter studentischer Mitarbeit von Tom Frison im Rahmen des von Janin Afken und Liesa Hellmann im Sommersemester 2024 veranstalteten Seminars Queer Reading. Methoden und Lektüren.