Magnus Hirschfeld in der erzählenden Literatur

Der jüdische Arzt und Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld (1868-1935) ist einer der bekanntesten Aktivist:innen der ersten queeren Emanzipationsbewegung in Deutschland. Mit dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (1897–1933), das für die Abschaffung des Paragraphen 175 kämpfte, sowie dem Institut für Sexualwissenschaft (1919–1933) gründete er zwei zentrale Institutionen für das Streben von queeren und trans* Menschen nach rechtlicher und gesellschaftlicher Gleichberechtigung und Anerkennung. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher und prägte mit seiner Theorie des ‚dritten Geschlechts‘ sowie der Lehre der ‚sexuellen Zwischenstufen‘ den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs über Sexualität. Hirschfeld wurde erstmals einer größeren Öffentlichkeit bekannt, als er im Harden-Eulenburg-Prozess, der von 1907 bis 1909 das Deutsche Reich bewegte, als Sachverständiger auftrat. Der populäre Berliner Sänger Otto Reutter nahm 1908 Hirschfelds Auftritt zum Anlass, das satirische Hirschfeldlied auf ihn zu dichten. Aus demselben Jahr stammt der anonym veröffentlichte Gesellschaftsroman Liebchen, der ebenfalls auf den Harden-Eulenberg-Prozess Bezug nimmt. Er bildet den Anfang einer langen, bis in die Gegenwart reichende Reihe literarischer Erzählungen, die Hirschfeld erwähnen oder als handelnde Figur auftreten lassen, sei es unter eigenem oder abgewandeltem Namen.

Magnus Hirschfeld (re.) mit seinem Partner Li Shiu Tong 1932 in Brno. CC BY 4.0

Dieser literaturgeschichtliche Befund ist im Zusammenhang der Rechtsgeschichte zu sehen. Denn der Paragraph 175, der praktizierte Homosexualität zwischen Männern unter Strafe stellte, beeinflusste die Art und Weise, wie über männliche – und weibliche – Homosexualität geschrieben wurde. Dementsprechend lässt sich die Geschichte der literarischen Erzählungen, die auf Magnus Hirschfeld Bezug nehmen, in drei Abschnitte einteilen: die Phase des Ruhms, die mit der ersten Fassung des Paragraphen 175 (1872-1935) korrespondiert, die Phase des Vergessens, die mit der verschärften Fassung des Paragraphen (1935-1969) einhergeht und noch viele Jahrzehnte nachwirkte, und die Phase der Wiederentdeckung, die durch die Abschaffung des Paragraphen (1994) und die nachfolgenden Entwicklungen begünstigt wurde. Aus der DDR sind bislang keine Hirschfeld-Erzählungen bekannt. Klicken Sie sich durch die Timeline, um mehr über Magnus Hirschfeld in der erzählenden Literatur zu erfahren.

Antisemitismus und Homophobie waren Hirschfelds unerbittlichen Feinde, und sie arbeiteten Hand in Hand. Als homosexueller Jude war Hirschfeld schon während der Weimarer Republik ins Fadenkreuz der Nationalsozialisten geraten. Die medienwirksame Zerstörung seines Instituts und seiner Bibliothek war einer der ersten Pläne, die die Nationalsozialisten in die Tat umsetzten, als sie am 30. Januar 1933 an die Macht kamen. Wie sich an der Geschichte des Paragraphen 175 ablesen lässt, setzte sich die staatliche Homophobie in den ersten zwei Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland fort. Als Juden hätte man Hirschfeld rehabilitieren können, doch seine Homosexualität und seine liberalen Auffassungen zur Sexualität standen dem Ansinnen der Adenauer-Ära entgegen, die neue Republik moralisch zu rechtfertigen. Die Situation entspannte sich erst spät und nur allmählich: durch die Entschärfung des Paragraphen 175 im Jahr 1969, durch seine Abschaffung im Jahr 1994, durch die Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft im Jahr 2001 und durch die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare im Jahr 2017.

Text: Andreas Kraß. Digitale Umsetzung: Bogdan Burghelea, Mitarbeit: Liesa Hellmann.